Kardinal Schönborn: Die Naturwissenschaft hat keine Antwort auf die "existenzielle Frage" des Menschen
WIEN, 20. Januar 2006 (ZENIT.org).- "Die Menschenwürde darf nicht zur Disposition gestellt werden", betonte Christoph Kardinal Schönborn am Dienstagabend im ORF. Wenn in dieser Beziehung keine Einigkeit herrsche, "dann Gnade uns Gott für die Zukunft".
In der ORF-TV-Reihe "philosophicum" erklärte der Erzbischof von Wien, der mit dem Tübinger Evolutionsbiologen Thomas Junker, dem Klagenfurter Philosophen Josef Mitterer und dem Stuttgarter Philosophen Robert Spaemann über den Evolutionismus diskutierte, dass die großen Probleme in der Welt nur gelöst werden könnten, wenn es eine "universalisierbare ethische Gemeinsamkeit" gebe. Es bedürfe eines "objektiv Guten und Wahren", wie es zum Beispiel in der Menschenrechts-Charta der Vereinten Nationen verankert sei.
Das "schönste Resultat" der jüngsten Evolutionismus-Debatte, so der Kardinal, sei ein Gespräch zwischen zwei jungen Menschen gewesen, das er zufällig in der Wiener U-Bahn mitverfolgt habe. Die beiden hätten lebhaft über die Frage diskutiert, ob sie nun als ein "Produkt des Zufalls" ins Leben gerufen worden seien oder aber "gewollt". Und genau das sei die "existenzielle Frage", die alle Menschen betreffe, die aber von der Naturwissenschaft nicht zu beantworten sei. Um diese "existenzielle Frage" komme niemand herum, und jeder wolle seinen Kindern, seinen Freunden eine Erklärung geben, ob das Leben sinnvoll ist. Der Zugang der Naturwissenschaft zur Natur sei somit zwar sehr erfolgreich, aber bei weitem nicht der einzige und auch nicht der einzig relevante, betonte der Wiener Erzbischof vor laufender Kamera: "Wir alle brauchen auch andere Zugänge: ästhetische, künstlerische und auch religiöse." Und er bekräftigte: "Ich bin ein begeisterter Hobby-Naturwissenschaftler, aber ich erwarte, dass man mir nicht sagt, das ist alles."
Die Wissenschaft habe beispielsweise festgestellt, dass sich das Genom des Schimpansen nur in zwei Prozent von jenem des Menschen unterscheidet. Der kleine Unterschied sei, dass der Mensch das einzige Lebewesen ist, das sich für Fragen wie jener nach dem Erbgut überhaupt interessiert und es auch entziffern kann. Der Mensch sei unbestreitbar "ein Teil der Schöpfung", und zwar "jener Teil der Schöpfung, der seinen Schöpfer erkennen und loben kann".
Göttlicher Plan ist Bestandteil des Glaubensbekenntnisses
Für den Evolutionsbiologen Junker hingegen ist die Idee eines göttlichen Plans obsolet, der der Evolution zu Grunde liegt. Auf die Meinung Junkers, dass die Vorstellung von einem "Plan" hinter der Evolution "Illusion" sei, antwortete Kardinal Schönborn: "Das ist aber ein Glaubensbekenntnis. Sie glauben, dass das Illusion ist. Können Sie das naturwissenschaftlich beweisen? Da würde ich sagen, Sie überschreiten die Grenzen der Methoden der Naturwissenschaft."
Robert Spaemann betonte, dass die Entstehung von Leben auf der Erde so unwahrscheinlich war, so dass eine dahinter liegende Absicht wahrscheinlicher sei als bloßer Zufall. Der Philosoph brachte in diesem Zusammenhang einen anschaulichen Verglich: Über einem Tisch wird ein Sack voller Buchstaben ausgeschüttet, die dann "zufällig" ein Gedicht von Hölderlin ergeben. Obwohl dies streng wissenschaftlich genommen eine von unzähligen möglichen Buchstabenkombinationen wäre, sage einem der gesunde Menschenverstand, dass hier eben mehr als purer Zufall am Werk sei. Wie Spaemann sagte, sei auch die Vorstellung, dass alles Leben auf Zufall und Selektion beruhe, letztlich ein unbeweisbarer "Glaubenssatz". Namhafte Naturwissenschaftler würden dies auch zugeben.
Nach Angaben der Erzdiözese Wien wurde die "philosophicum"-Diskussion im österreichischen Fernsehen von mehr als 180.000 Zusehern mitverfolgt – der beste Wert des "philosophicums" der letzten zwei Jahre. Auf der fünfteiligen Skala bewerteten die Zuseher die Diskussion mit 4,1. Mehrere deutsche TV-Anstalten haben bereits Interesse angemeldet, die Sendung zu übernehmen.